In der Kinderchirurgie

Visite: Wir machen uns auf unseren morgendlichen Rundgang und schauen nach unseren kleinen Patienten. Nach denen, die wir in den letzten Tagen operiert haben, nach denen, die mit Beschwerden kamen und zur Überwachung im Krankenhaus sind, und denen, die heute operiert werden sollen.

Zuerst ist der kleine Niklas dran. Der eigentlich bei den Kinderärzten (nicht Chirurgen) untergebrachte Dreijährige hatte eine Purpura Schönlein Henoch, eine nach Infekten auftretende Entzündung der kleinen Gefäße durch Immunkomplexablagerungen. Die Kinder haben einen Hautausschlag, oft auch Gelenk-, Bauchschmerzen und eine Nierenbeteiligung. Bei Niklas kam noch ein entzündeter Lymphknoten am Hals dazu, in dem sich Eiter gebildet und abgekapselt hatte (Abszess).  Treu nach dem Jahrtausende alten Lehrsatz des Hippokrates: Ubi pus, ibi evacua – „Wo Eiter ist, lass ihn ab“ hatten wir den Abszess am Vortag im OP gespalten.

Wir machen uns unbeliebt

Nun muss der Verband gewechselt werden. Niklas weiß sofort, worum es geht, und windet sich, als wir seine Mutter und ihn mit in den Verbandsraum nehmen. Ich muss herhalten als Kinderkopfhalterin, und mein Oberarzt löst schnell das Pflaster, tauscht die alte gegen die neue Lasche aus, die in die offene Abszesshöhle gesteckt wird, damit noch vorhandener Eiter ablaufen kann; ein neues Pflaster, und schon sind wir fertig.

Der kleine Eingriff hat keine zwei Minuten gedauert. Niklas ist dennoch bitterböse und kuckt uns aus wütenden Kinderaugen an. Besonders mein Oberarzt erntet hasserfüllte Blicke. „Der weiß genau, wer der Aggressor war“, lautet sein schmunzelnder Kommentar. Aber die Mutter ist froh, als sie erfährt, dass die Wunde komplett reizlos aussieht und der nächste Verbandswechsel beim Kinderarzt stattfinden darf. Sie dürfen nach Hause!

Der nächste kleine Patient ist der achtjährige Fabian, der gestern mit Verdacht auf Blinddarmentzündung kam. Heute soll er operiert werden, hoffentlich bald. Wir erklären den Eltern, dass wir Fabian als Notfall im OP angemeldet haben, und es maximal noch sechs Stunden bis zur Operation dauern sollte. Die ganze Familie ist sichtlich erleichtert. Endlich geht es los!

Interdisziplinarität in der Medizin

Nun gehen wir zu Mamadou. Das drei Monate alte Baby kam mit einer Ösophagusatresie auf die Welt: seine Speiseröhre war auf dem Weg zwischen Rachen und Magen unterbrochen. Schon einige Wochen vorher waren die beiden blinden Enden wieder zusammengenäht worden, doch da Mamadou nicht genug trank und deswegen nicht genug an Gewicht zunahm, hatten wir ihm vor zwei Tagen eine PEG-Sonde angelegt. Jetzt bekommt er nachts ergänzend Nahrung über die Sonde, die durch die Bauchdecke direkt in den Magen führt.

Als wir in das Zimmer kommen, sieht Mamadous Mutter nicht sehr glücklich aus. Ihr Sohn habe sehr viel geweint und ihm gehe es nicht gut. Wir untersuchen den Jungen. Mit dem Bäuchlein ist mein Oberarzt sehr zufrieden, und auch ich taste das weiche Abdomen ab. Aber verschnupft ist der kleine Patient, und bei der Auskultation hören wir deutliche Rasselgeräusche. Wir melden ein Röntgen an, um eine Lungenentzündung auszuschließen, außerdem ein Konsil bei den Kinderärzten. Sie sollen sich das Baby auch nochmal anschauen – Teamwork in der Medizin.

Dann klingelt das Telefon meines Oberarztes, das erstaunlicherweise lang ruhig geblieben ist. „Wir müssen in den OP.“ Wir erklären Mamadous Mutter schnell das weitere Vorgehen und los geht es. Die anderen Patienten müssen sich noch eine Weile gedulden.

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