NOLA

Die Altstadt von New Orleans („French Quarter“) ist wunderschön: Häuser im Kolonialstil mit gusseisernen Balkonen und bunten, blühenden Blumen zieren die schmalen Straßen, alte Laternen ergänzen das historische Stadtbild und große Holzverandas zieren die stattlichen Villen in der „Esplanade“, welche die Grenze zum Stadtteil Faubourg Marigny bildet. Doch was NOLA wirklich auszeichnet, ist die Lebensfreude, die einem von allen Ecken entgegen spring: Überall spielen Straßenmusiker und Kleinkünstler sind am Werk; eine Blaskapelle begleitet eine Hochzeitsgesellschaft, die zum Umzug durch die Stadt zieht; eine alte Frau animiert Passanten im rosa Hasenkostüm zum Mitmach-Tanz (da mache ich natürlich mit!); ein Pferd spielt Gitarre; Scharen von gut gelaunten, betrunkenen Touristen ziehen durch die Bourbon-Street, die hiesige Partymeile; und egal in welche Bar wir schauen, überall spielen Bands: Rock, Jazz, Brass, Funk, Piano! Überwältigend!

Davon, dass New Orleans vor gut zehn Jahren von einer Jahrhundert-Naturkatastrophe heimgesucht wurde, merkt man hier nichts. Und doch: Hurrikan Katrina hat einschneidende Veränderungen bewirkt, und ganz wird sich NOLA davon wohl nie erholen. Hautnah sind wir mit den Auswirkungen des Sturms in Treme konfrontiert, dem Viertel, das in den letzten Jahren durch die gleichnamige HBO-Fernsehserie bekannt geworden ist*. Nur durch eine Straße vom French Quarter getrennt zählt das Viertel zu den Ältesten der Stadt. Schon immer haben hier vor allem farbige, freie Menschen gewohnt, zu Zeiten der Sklaverei trafen sich die Menschen am arbeitsfreien Sonntag auf dem heutigen Louis Armstrong Platz zum Musizieren. Als wichtiges Zentrum für die lokale afroamerikanische und kreolische (Musik-) Kultur spielt es eine wichtige Rolle für die Stadt, bis heute.

Wir schlendern durch das Viertel und bewundern die bunten Häuser, die zwar weniger edel aussehen als in der touristischen Innenstadt, aber gut gepflegt wirken. Ich bleibe stehen, um Flo eine hübsch dekorierte Gartentür zu zeigen, da spricht uns ein Nachbar an. „Do you like it? It’s my work, I am an artist.**“ Wir drehen uns um, der Mann war gerade dabei, sein Auto auszuladen, sein etwa Achtjähriger Sohn hilft ihm.

Wir kommen in’s Gespräch. Vor Katrina sei er Handwerker gewesen, erzählt uns Jean Marcel (anbei: ihr merkt, nicht nur auf den Straßenschildern findet man das Erbe der französischen Kolonialherren 😉 ). Aber nachdem sein Haus – wie alle im Viertel –durch den Hurricane zerstört worden war, musste er sich neu orientieren. Erst einmal Wiederaufbau, und dann die Frage – wie geht es weiter?

Jean Marcel hat einen Weg gefunden, aus der Zerstörung Neues zu schaffen: aus den bunten Einzelteilen der Häuser fertigt er Mosaike an, die dann als Türen, Verzierung oder Kunstwerk verkauft werden. Touristen wie wir, merkt er an, kämen immer öfter in sein Viertel, und außerdem verkaufe er die Werke in der Stadt. Als wir ihm zu seiner Idee und seinem Erfolg gratulieren, verzieht er die Miene. Ja, er habe Glück gehabt, kann es sich leisten, weiter hier in Treme, seinem Viertel, seiner Stadt, zu leben. Aber viele seiner Nachbarn hätten nicht genug Geld gehabt dafür – sie seien bei Verwandten in Texas oder anderen Orten Louisianas geblieben. An schlauen Investoren habe es nach dem Sturm nicht gemangelt. Und die Gentrifizierung habe zwar schon vorher begonnen, sei aber durch die Naturkatastrophe noch verstärkt worden. Wir kucken uns etwas schuldbewusst an, ist unser Spaziergang hier nicht Zeichen dieses Prozesses?

 

Als wir erzählen, dass wir vor allem aufgrund der Fernsehserie aus Europa hierher gereist sind, grinst er. Ja, ja, die Serie habe ganz schön Trubel verursacht. In seiner Straße hätten sie gedreht! Tja, einerseits cool, sein Haus im Fernsehen zu sehen, andererseits hätten die Film-Trucks auch auf seinem Gründstück gestanden, und bezahlt worden sei dafür nicht. Nur ein paar Menschen des Stadtteils hätten Glück gehabt, durften mitspielen in der Serie und Geld verdienen. Die Gemeinschaft habe nicht profitiert, und immer öfter käme Hollywood jetzt hierher, mit der Ruhe sei es vorbei.

Als ich abends im Reiseführer lese, dass Tremes Schulen von Katrina profitiert haben und inzwischen zu den besten öffentlichen Schulen der Stadt gehören, bin ich erleichtert: Zumindest in einem Bereich scheint alles richtig gelaufen zu sein.

 

* Wärmstens zu empfehlen! „The Wire“-Schöpfer David Simon und Eric Overmyer zeichnen ein spannendes, sehr realistisches Bild des Viertels und seiner Bewohner. Es geht um die schwierige Rückkehr nach New Orleans und den Wiederaufbau der Stadt, die verschiedenen Interessengruppen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, und den Wunsch, die Seele der Stadt am Leben zu erhalten.

** „Gefällt sie euch? Die hab ich gemacht, ich bin Künstler.“

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